Mittwoch, 11. Mai 2011


„Hey, Kim, sieh dir das an.“, rief ich Richtung Computer. Auch wenn ich sie nicht ansah, wusste ich doch, dass sie die Augen verdrehte, bevor sie aufstand und sich zu mir herüber bequemte. Ich hielt ihr den Zettel unter die Nase. „Interessant. Irgendeine Idee von wem?“, fragte sie. Ich ließ mir einen Augenblick Zeit und dachte nach. „Ich habe eine Theorie. Aber ich werde es mir vermutlich einfach ansehen.“, sagte ich. Kim nickte. Sie verstand, dass ich meine Theorie für mich behalten wollte. Das war inzwischen fast wie Telepathie zwischen uns. „Allein?“, fragte sie. „Ja, warte einfach vor der Schule auf mich, ja?“, antwortete ich. Kim nickte erneut, dann setzte sie sich wieder an den PC und tippte weiter. „Tut mir Leid, dass ich nicht helfe.“, sagte ich, während ich mich komplett auf dem Sofa ausstreckte und ein Gähnen unterdrückte. „Schon in Ordnung, aber unterbrich mich nicht die ganze Zeit.“ Ich lächelte Richtung Decke. Das ist uncool. „Das ist uncool.“, fügte sie hinzu. Beinahe hätte ich gelacht. Stattdessen kramte ich in meiner Tasche nach meinem i-Pod. Ich fand ihn, entwirrte das Kabel, stellte die Musik an und schloss die Augen. So könnte das Leben immer sein… Ein weiches Sofa, beruhigende Musik, andere Leute erledigen die eigene Arbeit, man liegt einfach da und die Sonne scheint einem ins Gesicht. Nur leider war es nicht immer so. Im Verlauf dieses Experiments hatten wir nicht mehr oder weniger Arbeit als gewöhnliche, menschliche Schüler, was oft bedeutete, sonnige Nachmittage durch lernen oder Hausaufgaben zu vergeuden. Für mich kamen dazu noch verschiedene Anlässe vampirischer Art, an denen ich teilnehmen musste. Es war irgendwo Segen und Fluch zugleich, eine Raveni zu sein. Zum einen war ich sehr wichtig und konnte in der Welt etwas verändern, zum anderen musste ich oft an für mich oft ermüdenden gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen und nett zu Vampiren sein, die ich am liebsten hochkant aus dem Haus geworfen hätte. Warum mache ich mir darüber Gedanken? Die Familie Raveni ist eben eine der Repräsentantenfamilien von Deutschland. Ob es mir nun passt oder nicht. Auch wenn die meisten Vampire nicht sesshaft waren, hatten wir doch auch etwas ähnliches wie die ‚Staatsangehörigkeit‘ der Menschen. Ebenso hatte jedes Land mehrere Repräsentantenfamilien, die, wie der Name schon sagt, das Land im Ausland repräsentierten. Die ältesten Familienmitglieder wurden alle sieben Jahre zusammengerufen, um aktuelle Probleme zu erörtern und zu tun, was Politiker eben taten. Mich persönlich interessierte das Ganze recht wenig, aber ich musste mich notgedrungen damit beschäftigen, da ich später einmal diejenige sein würde, die an diesen Versammlungen teilnehmen würde. Eigentlich ist es schon toll, mitbestimmen zu dürfen. Andere würden sich freuen, einmal so viel Macht zu haben. Wenn das ganze doch nicht immer so… erdrückend langweilig wäre. Die eigentlichen Probleme zu diskutieren fände ich ja schon interessant, aber das ganze Ambiente war immer so steif und ermüdend. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und seufzte. „Bist du fertig? Wir müssen in fünf Minuten wieder zum Unterricht.“, fragte ich. „Ich schreibe nur noch schnell, dass der Bericht von uns kommt… und senden. Fertig.“ Ich schaltete den Computer aus, während Kim ihre Sachen packte.

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